Die Sorgen und ich: Wir gehen in diesem Advent getrennte Wege

Jedes Jahr stellt sich für mich die gleiche Frage: Was sage ich auf den Advents- und Weihnachtsfeiern, zu denen ich eingeladen werde? Was ist der entscheidende Gedanke des Advents in einer säkularen Welt? Wo hört nicht jeder Mensch, egal ob christlich oder eben nicht christlich, sofort weg? Ist es wirklich nur die Gemütlichkeit und die Besinnlichkeit, auf die wir uns berufen wollen? Wie armselig! Vor allem: Worauf genau besinnen? Das setzt erstmal voraus, dass noch irgendwo Sinn zu finden ist in dem postmodernen Unrat, in den wir uns manövriert haben. Besinnen? Ich lach‘ mich weg.

Auf die üblichen vom Glauben befreiten Adventsansprachen in diese Richtung habe ich also keine Lust mehr. Wenn ich im Advent nichts über den christlichen Glauben, also über Christus, sagen soll, dann sage ich gar nichts. Natürlich soll es irgendetwas zu tun haben mit dem Glauben! Denn schließlich rede ich als Pfarrer. Natürlich hätte ich aber auch gern, dass meine Worte nicht augenblicklich bei den Kirchenfernen so eine Art inneren Lockdown auslösen, bei dem alle Rolladen runtergehen und alle Türen geschlossen werden und es zu so einer Art Abwehr-Krampfanfall kommt. Es ist kompliziert.

Ich habe mir überlegt, dass ich in diesem Jahr meine Zuhörer und Zuhörerinnen daran teilhaben lasse, wie ich mir diese Adventszeit in diesem Jahr 2023 vorstelle. Nachdem ich die letzten vier Jahre damit zugebracht habe, mir in der Adventszeit darüber Gedanken zu machen, in welchem Zeitraum die Welt wohl nun untergehen wird, habe ich in diesem Jahr beschlossen, mich daran nicht zu beteiligen.

Sie erinnern sich? Düster? Vor drei Jahren war es Corona, vor zwei Jahren war es Corona, vor einem Jahr haben wir alle darüber nachgedacht, dass wir schon bald in kalten Stuben sitzen werden und die Heizung ausschalten müssen, genauso wie das Licht. Und in diesem Jahr gab es ebenfalls schon Grund zur Sorge: Israel ist das Stichwort und seit ein paar Tagen – obwohl weitaus weniger furchtbar als die erschütternden Bilder aus Nahost – 60 Milliarden Haushaltsloch, Ende der Strompreisbremse. Die China-Lungenentzündung, die seit ein paar Wochen durch die Medien geisterte, wurde übrigens wieder einkassiert. Die Bild titelte neulich „Entwarnung“. Na, da sind wir aber alle froh. Hat wohl diesmal nicht so richtig verfangen, das Thema. Gott sei Dank!

Also: Ich bin in diesem Jahr nicht an Bord, wenn es um die 24/7-Dauer-Sorgen geht. In der Bibel gibt es so einen schönen Satz, der in vielen Kirchen, besonders zur Weihnachtszeit, vorgelesen wird. Und dieser Satz lautet: Fürchte dich nicht! Im ersten Moment könnte man meinen, das sei nur so eine Art Floskel. Aber die Bibel meint diesen Satz ausgesprochen ernst.

Ich habe mich bei der gesteigerten Panik der letzten Jahre immer wieder gefragt, wo denn dieser Satz nun eigentlich geblieben ist. In den Jahren vor 2020 durfte er in keiner Predigt fehlen. Aber den letzten Jahren hat man ihn wenig gehört und ich halte das für einen großen Fehler. Denn wann genau soll man denn diesen Satz sagen, wann genau soll er denn überhaupt irgendeine Bedeutung haben, als genau in den Zeiten, die zum Fürchten sind?

Besonders prominent erklingt der Satz am Heiligen Abend. Gesprochen wird er nämlich von dem Weihnachtsengel, der den Hirten zuruft: Fürchtet euch nicht! Der Satz geht noch weiter: Denn euch ist heute der Heiland geboren. Und die Expertinnen und Experten unter ihnen wissen: Damit ist nicht der Weihnachtsmann oder der lila Schokoladeneisbär, sondern Jesus Christus gemeint.

Auf diesen Satz werde ich mich in diesem Jahr konzentrieren und ich möchte jeden einladen, es genauso zu machen, der keinen Bock mehr hat auf Weltuntergangspredigten.

Den Anfang könnte ich eigentlich sofort machen. Handy aus der Hand legen, runter vom Sofa, rausgehen! Vielleicht mal mit einen gemeinsamen Nachmittag mit unseren Nachbarn und Bekannten verbringen, eventuell sogar mit der Familie. Einfach nur rumsitzend, Kaffee trinkend und Kuchen essend. Und wenn wir später wieder nach Hause gehen, dann will zumindest ich mir diesen Geist der Furchtlosigkeit gerne bewahren und bei allen Hiobsbotschaften, die auch in dieser Advents- und Weihnachtszeit wieder auf uns einprasseln werden und mich an diesen Satz aus der Weihnachtsgeschichte erinnern: Fürchte dich nicht!

Mein Leben ist einfach zu kurz, um es mit Sorgen und Furcht zu verbringen. In diesem Sinne: Ich bin raus!